Partnerschaft / Sexualität und Kinderwunsch
Männer mit Klinefelter-Syndrom können glückliche Partnerschaften führen und selbstverständlich auch heiraten. Die Partnerschaften oder Ehen sind weder besser noch schlechter als Ehen von Männern ohne Klinefelter-Syndrom.
Ein unerfüllter Kinderwunsch kann jedoch zu einer Belastung für die Beziehung werden. Da in Deutschland etwa 15% der Paare ungewollt kinderlos sind, gibt es zahlreiche Paare in der gleichen Situation. Es gibt diverse Hilfsangebote u.a. psychologische Beratungsstellen und Kinderwunschzentren.
Da bei den allermeisten Männern (>90%) mit dem klassischen Klinefelter-Syndrom eine Azoospermie, also das Fehlen von Spermien im Sperma, vorliegt, besteht bei ihnen eine Unfruchtbarkeit. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge kann bei Jungen mit Klinefelter-Syndrom im Alter von ca. 12-14 Jahren noch eine Restspermatogenese bestehen, sodass bei ihnen eventuell noch einige Spermien im Sperma (Oligospermie) vorhanden sind.
Zusätzlich haben Männer mit einer 46XY/47XXY Mosaik-Form eine erhöhte Wahrscheinlichkeit noch einige Samenzellen im Ejakulat zu haben. Ob eine Azoospermie vorliegt wird durch einen Facharzt für Urologie mittels einer Untersuchung (Spermiogramm) festgestellt.
Das Klinefelter-Syndrom führt bei jungen Männern zu einem verminderten Testosteronspiegel. Dies kann einerseits zu einer Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht führen, ferner kann die Libido (sexuelle Begierde) vermindert sein. Insgesamt ist die sexuelle Leistungsfähigkeit (Potenz) vermindert und häufig besteht eine erektile Dysfunktion (Unfähigkeit eine Erektion zu bekommen oder aufrecht zu erhalten). Daher werden junge Männer in ihrer sexuellen Entwicklung durch das Klinefelter-Syndrom tendenziell beeinträchtigt. Die Diagnose Klinefelter-Syndrom beeinflusst dabei allerdings in keiner Weise die sexuelle Orientierung. Die Testosteronbehandlung führt in der Regel zu einer Steigerung der Libido und der Potenz.
Obwohl bei den meisten Betroffenen keine Spermien im Ejakulat vorhanden sind, können im Hodengewebe funktionsfähige Spermien vorhanden sein.
Bei der TESE (Abkürzung für Testikuläre Spermienextraktion) bzw. Mikro-TESE handelt es sich um einen operativen Eingriff am Hoden, der in der Regel unter Vollnarkose durchgeführt wird. Bei dieser Operation werden winzig kleine Gewebeproben des Hodens entnommen (Hodenbiopsien) und anschließend mittels Mikroskop auf das Vorhandensein von Spermien untersucht. Sollten hierbei Spermien gefunden werden, werden diese kryokonserviert, d.h. bei minus 196° C eingefroren und können später mit der Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) Methode für die Familienplanung verwendet werden.
Bei der ICSI handelt es sich um eine künstliche Befruchtungsmethode, bei der im Labor eine aufgetaute Samenzelle direkt in eine vorher entnommene Eizelle der Partnerin injiziert wird. Nach dieser künstlichen Befruchtung wird die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter der Partnerin eingesetzt. Sollte sich diese künstlich befruchtete Eizelle wie eine gewöhnlich befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einnisten, so beginnt eine Schwangerschaft. Derzeit führt allerdings nur etwa jeder 4.-5. ICSI Versuch zu einer gelungenen Einnistung.
Die Möglichkeit einer TESE sollte relativ früh mit den Eltern bzw. mit dem Jungen besprochen werden, da der Erfolg einer solchen operativen Maßnahme durch ein junges Alter und eine noch vorhandene Eigentestosteronproduktion begünstigt wird. Eine TESE sollte unbedingt vor dem Beginn einer Testosterontherapie durchgeführt werden, da durch eine Testosteronbehandlung die Spermienproduktion gestoppt wird und somit die Chance kleiner ist Spermien zu finden.
Da die meisten Kinder in diesem Alter noch zu jung sind, um über eigene Kinder nachzudenken, sollten Eltern vorausschauend in die Zukunft blicken und im Sinne des älter werdenden Sohnes/Mannes handeln, wobei selbstverständlich der Junge entsprechend aufgeklärt werden und einverstanden sein sollte. Bei einer frühzeitigen Durchführung einer TESE hat Ihr Sohn die beste Chance, später einmal selbst leibliche Kinder haben zu können.
Wenn Ihr Sohn erwachsen ist, kann er selbst entscheiden ob er die eingefrorenen Spermien für eine ICSI verwenden möchte oder nicht. Somit übernehmen die Eltern im Kindesalter des Sohnes eine wichtige Entscheidung, die das zukünftige Erwachsenenleben Ihres Kindes maßgeblich mitbestimmen wird. Eine TESE im Erwachsenenalter geht mit deutlich geringeren Erfolgsaussichten einher, sollte bei Kinderwunsch jedoch in Rücksprache mit den behandelnden Ärzten dennoch durchgeführt werden.
In der Regel wird der größte Teil der Kosten für eine TESE (bzw. Mikro-TESE) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dennoch beträgt der Eigenanteil zwischen 500-1.000 Euro. Während die meisten gesetzlichen Krankenkassen ca. 50% von 3 ICSI Behandlungen übernehmen, gibt es einige Krankenkassen die eine 100%ige Kostenübernahme anbieten.
Neuere Studien legen nahe, dass leibliche Kinder von Männern mit dem Klinefelter-Syndrom (Spermien wurden mittels TESE gewonnen) kein zusätzliches X-Chromosom haben und somit kein Klinefelter-Syndrom haben (z. B. Greco et al. Hum Reprod. 2013).
Da die diesbezügliche Forschung noch in den Kinderschuhen steckt und die Fallzahlen relativ gering sind, können derzeit jedoch noch keine allgemein gültigen Angaben gemacht werden.
Sollten weder aus dem Sperma noch mittels der TESE funktionsfähige Samenzellen gewonnen werden können, so besteht keine Möglichkeit, leibliche Kinder zu zeugen.
Jedoch gibt es alternative Möglichkeiten, um sich dennoch einen gemeinsamen Kinderwunsch zu erfüllen. Zum Beispiel besteht die Möglichkeit einer Befruchtung der weiblichen Eizelle der Partnerin mit Spendersamen (Fremdsperma). Auch bei dieser Methode handelt es sich um eine künstliche Reproduktionsmethode, die in einem Kinderwunschzentrum durchgeführt wird.
Weiterhin besteht die Möglichkeit einer Adoption oder die Aufnahme von Pflegekindern.