Ja, ich hatte auffallend ausgeprägte Brüste. Als Frau hätte ich damit vielleicht sogar punkten können. Allerdings war es mir als Mann stets unangenehm gewesen, meinen Oberkörper zu zeigen. Gleichwohl wusste ich, dass diese sogenannte Gynäkomastie als Folge meines diagnostizierten Hypogonadismus (Minderfunktion der inneren Keimdrüsen) nicht selten war – und auch bei Personen mit einem Klinefelter-Syndrom häufig auftraten. Deshalb versuchte ich auch über viele Jahre hinweg, mich mit diesem Umstand anzufreunden. Immerhin waren meine Proportionen ohnehin nicht dem heutigen Ideal entsprechend. Insofern hieß es, auch mit einer bestimmten Körbchengröße des Mannes zurecht zu kommen – schlussendlich ist das alles nur eine Frage des Selbstbewusstseins, sagte mir mein Psychotherapeut – und er lag damit keinesfalls falsch!
Doch als ich im Jahr 2015 erstmals bemerkte, dass meine Brustdrüse Sekret absonderte, wunderte ich mich doch nicht schlecht. Schwanger konnte ich nicht sein – und die Vergrößerung der beiden männlichen Mammae (Brüste) hatte mir bisher sonst auch keine größeren Beschwerden gemacht. Und so sprach ich das Problem bei der jährlichen Untersuchung durch den Endokrinologen an. Merkwürdig war es schon, plötzlich abgetastet zu werden. Und dann seine Aussage: „Ich will sie ja nicht beunruhigen, aber einen Knoten taste ich da schon“. Da musste ich doch erst einmal schlucken und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. „Sie kennen das ja bei Frauen. Ich muss Sie jetzt zum Gynäkologen schicken. Und dann erwartet Sie auch eine Mammographie“. Nein, das Wort „Brustkrebs“ sprach der erfahrene Mediziner nicht aus. Allerdings wusste ich, dass diese Erkrankung auch durchaus bei Männern auftreten kann – wobei das sehr selten ist, aber bei Betroffenen eines Hypogonadismus zumindest vermehrt vorkommt. Und so zog ich mit einer Überweisung zum Frauenarzt wieder ab – ohne zu wissen, welche Odyssee mich in den folgenden Wochen erwartete.
Denn ich begann umgehend, bei den örtlichen Gynäkologen anrufen. Peinlich war mir das schon. Und die Antworten sollten mir recht geben: „Sie telefonieren hier mit einer Frauenarzt-Praxis!“, schmetterte mir eine Sprechstundenhilfe entgegen. „Gehen Sie zum Urologen!“, fauchte mich eine andere an. Etwas weniger undiplomatisch die dritte: „Es tut mir leid, aber wir können eine gynäkologische Untersuchung beim Mann nicht bei der Kasse abrechnen“. In diese Richtung ging es also offenbar: Männer sind beim Frauenarzt nicht vorgesehen, es gab dahingehend keine passende Ziffer für sie, um die entsprechende Leistung bei der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt zu bekommen – und damit für mich auch keine Chance, einen Termin zu erhalten. Doch das konnte es ja nicht sein: Ich war doch sicherlich nicht der erste Mann, dem es so erging. In verschiedenen Foren las ich in Folge viele gleichlautende Erfahrungen. Mehrere Betroffene hatten es aufgegeben, sich weiter derart erniedrigen zu lassen – und nahmen damit auch in Kauf, möglicherweise an einem unentdeckten Mammakarzinom des Mannes zu erkranken. Mein Gerechtigkeitsempfinden sagte mir deshalb, dass ich mich an die Politik wenden sollte. Mit einer Petition an den baden-württembergischen Landtag brachte ich mein Anliegen vor – und offenbar war niemandem bekannt, dass es tatsächlich ein Problem in der Gesetzeslage gab. Umso erstaunter war ich dann aber doch, dass man sich der Eingabe sehr schnell annahm – und sie zum Erfolg führte!
Das Parlament beschloss, die gynäkologischen Kassenärzte zukünftig zu ermächtigen, Untersuchungsleistungen beim Mann abrechnen zu können. Über die entsprechende Entscheidung wurde ich rasch informiert, die Vertragsärzte umgehend über die Neuregelung in Kenntnis gesetzt. Ich selbst wollte die Umsetzung aber nicht abwarten – und hatte über meine zuständige Endokrinologie postwendend einen Termin zur Diagnostik in der gynäkologischen Uniklinik erhalten. Neben einer Bildaufnahme der Brüste wurde ich von einem Frauenarzt sehr einfühlsam befundet und im Zusammenspiel mit meiner Anamnese über die Möglichkeiten für die Ursache der anhaltenden Absonderung aus der Brustdrüse und den Knoten unterrichtet. Letztendlich konnte ich aufatmen und erhielt das Ergebnis, dass es sich lediglich um einen „Milchstau“ handelte, wenngleich man davon beim Mann wohl fachkundig nicht sprechen würde. Der Grund dafür lag in einem außer Kontrolle geratenen Prolaktin-Spiegel, der aufgrund meiner komplexen Hormonsituation und einer Veränderung in der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) zustande kam.
Wenngleich in meinem Fall also glücklicherweise das Thema „Brustkrebs“ nicht mehr im Raum war, empfehle ich heute allen Betroffenen mit Hypogonadismus unterschiedlicher Ursache, sich bei einer Gynäkomastie oder auffallendem Brustgewebe gynäkologisch untersuchen zu lassen – ja, auch bei Männern sollte das eigene Abtasten zur Normalität werden. Es gibt keinen Grund zur Scham, stattdessen muss uns unsere Gesundheit so viel Wert sein, über den eigenen Schatten zu springen und uns nicht von oberflächlichem Macho-Gehabe in der Öffentlichkeit beeindrucken zu lassen. Brustkrebs ist keine Lappalie, sondern gerade beim männlichen Geschlecht oftmals mit sehr unguten Verläufen verbunden – die sich allemal verhindern lassen. Prävention sollten wir also alle betreiben – denn ohne Vorsorge könnten wir früher oder später einmal das Nachsehen haben …
Dennis Riehle