- Pränatale (vorgeburtliche) Diagnose eines Klinefelter-Syndroms
- Zur Pränataldiagnostik
- Nicht Invasive Methoden
- Invasive Methoden
- Warum wird eine Pränataldiagnostik üblicherweise durchgeführt?
- Recht auf Nichtwissen – Was bedeutet das?
- Schwangerschaftsabbruch als mögliche Konsequenz der Pränataldiagnose einer Trisomie 13, 18 oder 21
- Abweichungen der Geschlechtschromosomenzahl
- Wie zuverlässig ist die pränatale Diagnose von 47,XXY?
- Was beeinflusst die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit einem Klinefelter-Syndrom zu bekommen?
- Unmittelbarer Umgang mit der pränatalen Diagnose eines Klinefelter-Syndroms
- Ist ein Schwangerschaftsabbruch möglich?
- Langfristiger elterlicher Umgang mit der Diagnose eines Klinefelter-Syndroms bei ihrem Sohn
- Der Umgang mit der pränatalen Diagnose von 47,XXY aus Sicht der Eltern: Einzelberichte
Pränatale (vorgeburtliche) Diagnose eines Klinefelter-Syndroms
In diesem Abschnitt wollen wir uns mit der pränatalen Diagnose eines Klinefelter-Syndroms auseinandersetzen. Nach einer solchen Diagnose wissen Eltern bereits in der Schwangerschaft von dem überzähligen X-Chromosom bei ihrem Sohn. Dies kann Sorgen bis hin zu einer erheblichen Belastung in der Schwangerschaft führen. Auch nach der Geburt ihres Sohnes können die Eltern in Sorge um ihren Sohn sein. Dies gilt besonders, wenn psychische Probleme oder Auffälligkeiten im Kindes- oder Jugendalter auftreten. Da die Eltern vom Vorliegen des Klinefelter-Syndroms wissen, können sie nicht mehr unbefangen mit solchen Schwierigkeiten umgehen. Das Wissen kann belastend sein.
Das Wissen um die Diagnose 47,XXY bei ihrem werdenden Sohn kann aber auch Eltern mittel- und langfristig erheblich entlasten. Sie fühlen sich gewappnet mit möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten kompetent umzugehen. Schließlich müssen sie nicht wie einige Eltern einen langen Leidensweg durchlaufen, bis die Diagnose Klinefelter-Syndrom irgendwann im Kindes-, Jugend- oder sogar erst im Erwachsenenalter gestellt wird. Sie zweifeln beispielsweise nicht an ihren erzieherischen Fähigkeiten und können besser mit Vorwürfen in und außerhalb ihrer Familie umgehen. Sie könnten sich gezielt Rat holen bei Selbsthilfegruppen oder Ärzten/Psychologen, die sich mit dem Klinefelter-Syndrom auskennen. Und zu guter Letzt: ihr Sohn wird zu gegebener Zeit mit Testosteron behandelt werden können, da sie als Eltern hierfür sorgen werden. Somit wird die Gesundheit ihres Sohnes positiv beeinflusst.
Wir wollen zunächst aufzeigen, welche Formen der Pränataldiagnostik es gibt und zu welchem Zweck eine Pränataldiagnostik üblicherweise erfolgt. Abschließend berichten Eltern, wie sie die vorgeburtliche Diagnosestellung 47,XXY erlebt haben und ob sie diese frühe Diagnose als für sich selbst bzw. ihren Sohn als hilfreich empfanden.
Zur Pränataldiagnostik
Die Pränataldiagnostik umfasst verschiedene medizinische Untersuchungen während der Schwangerschaft, um frühzeitig mögliche Fehlbildungen, genetische Erkrankungen oder andere gesundheitliche Probleme des ungeborenen Kindes zu erkennen. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen nicht-invasiven und invasiven Methoden.
Nicht Invasive Methoden
Zu den nicht-invasiven Methoden zählen zunächst die Ultraschalluntersuchungen, die keine Risiken für Mutter und Kind mit sich bringen. In Deutschland gehören bestimmte Ultraschalluntersuchungen standardmäßig zu jeder Schwangerschaft. Im Rahmen der regulären Schwangerschaftsvorsorge sind drei sogenannte Basis-Ultraschalluntersuchungen vorgesehen, deren Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Die erste Untersuchung findet etwa zwischen der 9. und 12. Schwangerschaftswohe statt, um die Schwangerschaft zu bestätigen, die Anzahl der Kinder festzustellen und die Herztätigkeit des Kindes zu überprüfen. Die zweite Basis-Ultraschalluntersuchung erfolgt zwischen der 19. und 22. Schwangerschaftswoche. Hier wird das Wachstum des Kindes kontrolliert, ein Basis-Organscreening durchgeführt sowie die Lage des Mutterkuchens und die Fruchtwassermenge überprüft. Der dritte Basis-Ultraschall erfolgt zwischen der 29. und 32. Schwangerschaftswoche, um erneut die Entwicklung, das Wachstum und die Lage des Kindes vor der Geburt zu beurteilen.
Zusätzlich zu diesen Standarduntersuchungen gibt es erweiterte Ultraschallverfahren, wie die ausführliche frühe Fehlbildungsdiagnostik (etwa in der 12. bis 14. SSW) oder die fetale Feindiagnostik (Organultraschall) zwischen der 20. und 22. Schwangerschaftswoche. Diese erweiterten Untersuchungen gehören nicht automatisch zur Standardvorsorge, sondern werden nur bei medizinischer Notwendigkeit, erhöhtem Risiko oder auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern durchgeführt. In diesen Fällen können unter Umständen zusätzliche Kosten entstehen, sofern keine medizinische Indikation vorliegt.
Zusätzlich zu den Ultraschalluntersuchungen gibt es den Nicht-Invasiven Pränataltest (NIPT), der ab etwa der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) durchgeführt werden kann. Der NIPT beruht auf einer Blutentnahme bei der Mutter. Während der Schwangerschaft gelangen kleine DNA-Schnipsel (zellfreie DNA) aus dem Mutterkuchen (Plazenta) in den Blutkreislauf der Mutter. Der NIPT analysiert diese zellfreie DNA im mütterlichen Blut. Dadurch können z.B. chromosomale Erkrankungen, z.B. Trisomie 13,18 und 21 mit hoher Genauigkeit erkannt werden (siehe unten).
Invasive Methoden
Daneben gibt es auch invasive Methoden, die zwar sehr zuverlässige Ergebnisse liefern, jedoch mit einem gering erhöhten Fehlgeburtsrisiko (etwa 0,1 bis 0,3 %) einhergehen. Dazu zählt die Chorionzottenbiopsie, die zwischen der 11. und 13. SSW durchgeführt werden kann. Hierbei entnimmt der Arzt eine kleine Gewebeprobe aus dem Mutterkuchen. Eine weitere invasive Methode ist die Fruchtwasserpunktion (Amniozentese), die frühestens ab der 15. SSW möglich ist. Dabei wird mit einer dünnen Nadel etwas Fruchtwasser entnommen, das Zellen des ungeborenen Kindes enthält. Anschließend kann an Zellen des Mutterkuchens oder des Fruchtwassers eine Chromosomenanalyse durchgeführt werden.
Warum wird eine Pränataldiagnostik üblicherweise durchgeführt?
Grundsätzlich wird die Pränataldiagnostik durchgeführt, um schon während der Schwangerschaft herauszufinden, ob das ungeborene Kind mit den Methoden der Pränataldiagnostik erkennbare (genetische) Erkrankungen und/oder Fehlbildungen aufweist. Eltern und Ärzte erhalten dadurch frühzeitig wichtige Informationen, um weitere Entscheidungen für Schwangerschaft und Geburt treffen zu können.
Sollten in den vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen Auffälligkeiten oder Fehlbildungen nachgewiesen werden, so könnte nach einer invasiven Diagnostik (Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasseranalyse) eine vorgeburtliche genetische Untersuchung erfolgen, um das Vorliegen einer genetischen Erkrankung abzuklären. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass ungeborene Kinder mit dem Klinefelter-Syndrom in der Regel keine vorgeburtlichen Auffälligkeiten im Ultraschall aufweisen.
Ein häufiger Grund für die Durchführung einer Pränataldiagnostik und insbesondere eines NIPT ist ein mütterliches Alter ab 35 Jahren. Mit zunehmendem Alter der Frau erhöht sich das Risiko für eine Abweichung der Chromosomenanzahl beim Kind. In erster Linie betrifft dies das Down-Syndrom (Trisomie 21). Gleichzeitig steigt auch das Risiko für seltener auftretende Chromosomenstörungen wie eine Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) oder eine Trisomie 18 (Edwards-Syndrom). Das Risiko für z.B. eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) steigt mit dem Alter der Frau, weil es bei älteren Eizellen öfters zu Fehlern bei der Zellteilung kommt. Dadurch hat die Eizelle ein Chromosom zu viel, und das Kind erhält am Ende drei statt zwei Kopien des Chromosoms 21. Bei einer 35-jährigen Frau liegt das Risiko bei ca. 1 zu 350, bei 40-jährigen 1 zu 100. Weltweit kommt ca. jedes 1000. Neugeborene mit einer Trisomie 21 zur Welt. Während Kinder mit einer Trisomie 21 heute durchschnittlich 60 bis 65 Jahre alt werden, versterben Kinder mit einer Trisomie 13 oder 18 meist intrauterin (im Bauch der Mutter) oder im Säuglingsalter.
Ein NIPT kann eine Trisomie 21 mit einer ca. 99%-igen Wahrscheinlichkeit entdecken. Wenn das Ergebnis des Tests unauffällig ist, besteht eine Wahrscheinlichkeit von etwa 1:1000, dass der Test falsch negativ ausgefallen ist; in diesem Fall besteht trotz unauffälligen Befunds dennoch eine Trisomie 21 bei dem ungeborenen Kind. Der Nachweis der Trisomien 13 und 18 gelingt im NIPT ähnlich gut wie für die Trisomie 21; in bis zu 3% und 10% werden jedoch trotz Vorliegens einer Trisomie 18 bzw. 13 diese nicht vom NIPT erkannt. Wenn im Rahmen der NIPT eine Trisomie entdeckt wird, erfolgt zur Bestätigung der Diagnose eine Fruchtwasserpunktion oder Chorionzottenbiopsie mit anschließender Chromosomenanalyse beim ungeborenen Kind.
Bei der Interpretation des Ergebnisses des NIPT ist es wichtig, auf den sogenannten PPV-Wert (Positiver Prädiktiver Wert) zu achten. Dieser gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein auffälliges Testergebnis tatsächlich richtig ist und das ungeborene Kind die untersuchte Chromosomenstörung hat. Da der PPV von Faktoren wie der Häufigkeit der Erkrankung und dem Alter der Mutter abhängt, kann ein positives Ergebnis dennoch falsch sein. Deshalb sollte ein auffälliger Befund immer durch eine invasive Untersuchung wie eine Fruchtwasserpunktion bestätigt werden, bevor weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Einfach erklärt: Je jünger eine Frau ist, desto seltener kommen Chromosomenstörungen wie Trisomie 21 vor. Dadurch kann ein positives NIPT-Ergebnis häufiger ein Fehlalarm („falsch-positiv“) sein. Mit zunehmendem Alter der Frau steigt das Risiko für solche chromosomalen Erkrankungen, weshalb ein positives Testergebnis bei älteren Schwangeren mit höherer Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich korrekt ist.
Von der Krankenkasse werden die Kosten für den NIPT übernommen, sofern eine Frau und ihr Arzt/Ärztin entschieden haben, dass der Test sinnvoll ist. Zusätzlich kann auf Wunsch der Eltern (Zusatzleistung auf Selbstkostenbasis) mittels des NIPT das ungeborene Kind auf Abweichungen in der Anzahl der Geschlechtschromosomen, wie das Turner-Syndrom (Monosomie X), das Klinefelter-Syndrom (XXY) oder das Triple-X-Syndrom (XXX), hin untersucht werden. Diese Untersuchungen sind jedoch weniger zuverlässig als die Untersuchung auf Trisomie 21. Einige NIPT-Anbieter ermöglichen zudem die Untersuchung auf seltene genetische Erkrankungen wie Mikrodeletionssyndrome. Sowohl beim Nachweis einer abweichenden Anzahl an Geschlechtschromosomen als auch eines Mikrodeletionssyndroms sollte ein auffälliges Ergebnis durch eine invasive Diagnostik abgesichert werden, sofern die Schwangere aufgrund des entsprechenden Befunds einen Schwangerschaftsabbruch erwägt. Falls die Schwangere einen Abbruch nicht in Erwägung ziehen würde, könnte die invasive Diagnostik mit dem sehr kleinen Risiko der Auslösung einer Fehlgeburt umgangen werden. Nach der Geburt des Kindes könnte dann eine Chromosomenanalyse erfolgen.
Recht auf Nichtwissen – Was bedeutet das?
Bevor eine genetische Untersuchung durchgeführt wird, muss die betroffene Person umfassend aufgeklärt werden. In Deutschland regelt das Gendiagnostikgesetz, dass solche Untersuchungen nur mit ausdrücklicher Einwilligung erfolgen dürfen. Dabei wird nicht nur das Recht auf Wissen, sondern auch das Recht auf Nichtwissen betont. Das bedeutet, dass jede Person selbst entscheiden kann, ob sie über die genetischen Befunde informiert werden möchte oder nicht. Warum ist das wichtig? Manche Schwangere möchten nur bestimmte Informationen aus einem NIPT erhalten. Ein Beispiel: Eine Frau möchte wissen, ob beim Kind eine Trisomie 13 oder 18 vorliegt, weil sie in diesem Fall die Schwangerschaft möglicherweise beenden würde. Falls jedoch eine Trisomie 21 festgestellt würde, möchte sie diese Information gar nicht erfahren, weil es für sie keine Konsequenzen hätte. Dank des Rechts auf Nichtwissen kann sie vorab festlegen, welche Ergebnisse sie mitgeteilt bekommen möchte und welche nicht.
Schwangerschaftsabbruch als mögliche Konsequenz der Pränataldiagnose einer Trisomie 13, 18 oder 21
Im §218a des Strafgesetzbuchs ist geregelt, dass ein Schwangerschaftsabbruch vor der 12. Woche nicht strafbar ist, sofern sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten lässt, nicht mehr als 12 Wochen seit der Empfängnis verstrichen sind und ein Arzt/eine Ärztin den Schwangerschaftsabbruch durchführt. Beim Abbruch der Schwangerschaft müssen zudem die gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren berücksichtigt werden.
Da ein NIPT erst ab der 10. Schwangerschaftswoche aussagekräftig ist, zudem ein auffälliger Befund durch Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasserpunktion bestätigt werden sollte (sofern die Schwangere Konsequenzen aus der invasiven Diagnostik ziehen würde), ist häufig die 12-Wochen-Frist verstrichen.
Nach der 12. Schwangerschaftswoche kann ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland aufgrund einer medizinischen Indikation erfolgen. Diese liegt vor, wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche bzw. seelische Gesundheit der Schwangeren darstellt (siehe §218a StGB), die Gefahr darf nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden können. Somit steht der Schutz der Gesundheit der Schwangeren im Vordergrund. Die medizinische Indikation muss durch einen Arzt festgestellt und bescheinigt werden. Der Arzt, der den Abbruch vornimmt, darf jedoch nicht derselbe sein, der die Indikation feststellt. Ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer medizinischen Indikation ist zeitlich nicht begrenzt. Zudem kann ein Gericht von Strafe nach §218 absehen, „wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat“.
Es geht folglich nicht direkt um die vorgeburtlich festgestellte Erkrankung des werdenden Kindes (z.B. Trisomie 13, 18 oder 21). Es wird argumentiert, dass bei pränataler Feststellung einer solchen Erkrankung eine schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren resultieren kann, so dass in diesem Fall eine Fortsetzung der Schwangerschaft nicht zumutbar erscheint.
Abweichungen der Geschlechtschromosomenzahl
Abweichende Zahlen der Geschlechtschromosomen X und Y sind häufiger als die Trisomien 13, 18 und 21. Ungefähr jeder 750. männliche Neugeborene hat ein überzähliges X-Chromosom (Karyotyp: 47,XXY). Es kann bei Jungen auch ein überzähliges Y-Chromosom vorhanden sein (Karyotyp: 47,XYY). Bei weiblichen Neugeborenen kommen hingegen sowohl das sogenannte Triple X (Karyotyp: 47,XXX) als auch das Turner-Syndrom (Karyotyp: 45,X; häufig auch Mosaik aus 45, O und 46,XX) vor. Das 47,XYY-Syndrom kommt bei ca. jedem 1000. männlichen Neugeborenen vor, das 47,XXX-Syndrom ebenfalls bei ca. jedem 1000. Mädchen. Das Turner-Syndrom ist seltener und betrifft etwa eines von 2500 weiblichen Neugeborenen. Allerdings wird geschätzt, dass es bei etwa einer von 100 Empfängnissen auftritt – doch in rund 98 % der Fälle führt dies zu einer Fehlgeburt im ersten Schwangerschaftsdrittel. Zusammengenommen liegen bei ca. jedem 300-400. Neugeborenen eine abweichende Anzahl an Geschlechtschromosomen vor.
Während viele Menschen die Trisomie 21 bzw. das Down-Syndrom kennen, ist das Wissen um die zahlenmäßigen Abweichungen der Geschlechtschromosomen nicht weit verbreitet. Woran liegt das? Das Down-Syndrom geht mit typischen Auffälligkeiten im Gesichtsbereich einher; zu nennen sind besonders abweichende Lidachsenstellung, ein kurzer Hals, eine große Zunge und ein flaches Gesichtsprofil. Zusätzlich weisen Menschen mit einem Down-Syndrom eine gegenüber der Normalbevölkerung deutlich reduzierte Intelligenz auf. Bei Menschen mit XXY-, XYY- und XXX-Syndrom fallen hingegen bei der Geburt in aller Regel keine Auffälligkeiten auf. Auch im Kindes-, Jugend- oder Erwachsenenalter zeigen die entsprechenden Personen keine Auffälligkeiten, die einem Laien die Zuordnung zu einer dieser Syndrome erlauben würden. Eine Intelligenzminderung ist kein typisches Merkmal bei Menschen mit einer abweichenden Anzahl an Geschlechtschromosomen.
Wie zuvor aufgezeigt, hat eine Schwangere bzw. das zukünftige Elternpaar ein Recht auf Nichtwissen. Insofern wird die Schwangere im Rahmen der NIPT (oder einer Fruchtwasserpunktion/Chorionzottenbiopsie mit anschließender vorgeburtlicher Chromosomenanalyse beim ungeborenen Kind) über die Möglichkeit aufgeklärt, dass sich im Rahmen der Diagnostik auch eine abweichende Anzahl an Geschlechtschromosomen finden könnte. Eine Schwangere sollte im Rahmen der schriftlichen Einwilligung deshalb auch angeben, ob sie über diesen Befund informiert werden möchte.
Es ist nur allzu verständlich, dass viele Schwangere nicht vollständig die entsprechenden Implikationen bei der entsprechenden Aufklärung verstehen. So wird beispielsweise die Diagnose einer abweichenden Geschlechtschromosomenzahl nur sehr kurz besprochen. Zukünftige Eltern hören von einer solchen möglichen Diagnose meist zum ersten Mal; sie hören auch, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen chromosomalen „Störung“ nicht groß ist. Insofern kreuzen viele Schwangere an, dass sie über die Diagnose einer abweichenden Geschlechtschromosomenzahl informiert werden möchten.
Wie zuverlässig ist die pränatale Diagnose von 47,XXY?
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Klinefelter-Syndrom mittels NIPT erkannt wird, wird in der Fachliteratur mit zwischen 87 und fast 100% angegeben. Die Wahrscheinlichkeit eines unauffälligen NIPT trotz Vorliegens eines Klinefelter-Syndroms liegt bei ca. 1%. Auch bei mittels NIPT diagnostiziertem Karyotyp 47,XYY kann zur Bestätigung der Diagnose eine Fruchtwasserpunktion oder Chorionzottenbiopsie durchgeführt werden. Hierdurch wird die Diagnose gesichert. Zu berücksichtigen ist aber das geringe Risiko in der Größenordnung von 0,1-0,3% für die Auslösung einer Fehlgeburt. Ggf. wird sich eine Schwangere deshalb gegen die Durchführung einer Chorionzottenbiopsie oder eine Fruchtwasserpunktion aussprechen. Die definitive Diagnose eines Klinefelter-Syndroms könnte in solchen Fällen nach der Geburt des Kindes erfolgen.
Was beeinflusst die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit einem Klinefelter-Syndrom zu bekommen?
Analog zur Trisomie 21, wenngleich deutlich abgeschwächt, steigt die Wahrscheinlichkeit einen Sohn mit dem Karyotyp 47,XXY zu bekommen mit dem mütterlichen Alter an. Einer Untersuchung zufolge wies 1 von 2500 Neugeborenen von 33-jährigen Müttern ein Klinefelter-Syndrom auf. Bei einem mütterlichen Alter von 40 Jahren betrug die Wahrscheinlichkeit fast 1 zu 500. Es gibt Hinweise, dass die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Kindes mit Klinefelter-Syndrom auch mit dem väterlichen Alter ansteigt. Diskutiert wird auch, inwieweit die Wahrscheinlichkeit sich durch in-vitro-Fertilisation erhöht. Da entsprechende Paare im Durchschnitt älter sind als sonstige Eltern, ist nicht gänzlich geklärt, ob die erhöhte Wahrscheinlichkeit nach in-vitro-Fertilisation auf das höhere Alter der entsprechenden Eltern zurückgeht.
Unmittelbarer Umgang mit der pränatalen Diagnose eines Klinefelter-Syndroms
Wenn bei der NIPT festgestellt wird, dass das werdende Kind ein Klinefelter-Syndrom hat, gilt es folgendes zu bedenken:
- Eine Schwangere sollte nur dann in Kenntnis von diesem Befund gesetzt werden, wenn sie bei der Aufklärung vor Durchführung des NIPT angegeben hat, über einen solchen Befund informiert werden zu wollen.
- Hat die Schwangere angegeben entsprechend informiert werden zu wollen, so wird sie von dem “auffälligen“ Testergebnis umgehend informiert. Dies wird zu einer erheblichen Verunsicherung der Schwangeren führen. Wir empfehlen die rasche Kontaktaufnahme mit einem niedergelassenen Facharzt/Fachärztin für Humangenetik oder mit einem Institut für Humangenetik, um sich bezüglich der Auswirkungen des überzähligen X-Chromosoms beraten zu lassen. Diese Fachärzt*innen kennen sich mit dem Klinefelter-Syndrom gut aus. Bei der Terminvereinbarung sollte die Schwangere auf die Schwangerschaft und den Befund hinweisen, so dass sie einen raschen Termin erhält. Es empfiehlt sich ggf. sich schon im Vorfeld eines solchen Gesprächs relevante Fragen schriftlich festzuhalten, die im Beratungsgespräch geklärt werden können. Absolute Vorsicht ist geboten bei eigenen Suchen nach Informationen im Internet, da es für Laien schwierig sein kann die Seriosität einer Quelle zu beurteilen. Stattdessen empfiehlt es sich im Einzelfall eine Zweitmeinung bei einem weiteren Facharzt/Fachärztin für Humangenetik einzuholen. Ärzte/Ärztinnen sollten für diesen Wunsch in Anbetracht der Sorgen einer Schwangeren und deren Partner(in) hierfür offen sein.
- Zur Bestätigung des auffälligen NIPT wird auf Wunsch der Schwangeren eine invasive Diagnostik mittels Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasseranalyse und vorgeburtlicher Chromosomenanalyse durchgeführt. Wenn beispielsweise die Schwangere keine Konsequenzen aus einem entsprechenden Befund ziehen würde, kann bis nach der Geburt gewartet werden um die Chromosomenanalyse beim Neugeborenen durchzuführen. Falls eine invasive Diagnostik (Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasserpunktion) das Vorliegen des Karyotyps 47,XXY bestätigen sollte, empfiehlt es sich mit dem Facharzt/Fachärztin für Humangenetik erneut Kontakt aufzunehmen um die Beratung zu vertiefen bzw. zu entscheiden, welche Konsequenzen sich ergeben.
Ist ein Schwangerschaftsabbruch möglich?
Wie bereits oben beschrieben, ist nach §218a ein Schwangerschaftsabbruch auch nach der 12. Schwangerschaftswoche möglich, um eine Gefahr für das Leben oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden. Die eigentliche Diagnose des ungeborenen Kindes (z.B. Trisomie 21, Klinefelter-Syndrom, Turner-Syndrom) spielt somit keine direkte Rolle. Voraussetzung für einen solchen Schwangerschaftsabbruch ist, dass ein Arzt/eine Ärztin eine medizinische Indikation ausstellt. Jeder Arzt/Ärztin darf dabei selbst entscheiden, ob er eine solche medizinische Indikation ausstellt. Da die klinischen Auswirkungen des Klinefelter-Syndroms in der Regel als nicht so schwerwiegend gelten (50-75% der Betroffenen bleiben ihr Leben lang undiagnostiziert) und in der Regel keine Intelligenzminderung bei den Betroffenen besteht, ist es vermutlich nicht einfach einen Arzt zu finden, der eine solche medizinische Bescheinigung ausstellt.
Nur wenn die Schwangere durch die entsprechende Beratung nicht beruhigt werden kann und in größter Sorge um ihr Kind bzw. sich selbst ist, könnte über einen anderen Arzt/Ärztin eine entsprechende Bescheinigung eingeholt werden. Medizinische Indikationen können grundsätzlich von Fachärzt/-innen folgender Fachrichtungen ausgestellt werden: u.a. Humangenetik, Gynäkologie, Psychiatrie. Die Schwangerschaftsabbruchquote nach pränataler Feststellung eines Klinefelter-Syndroms ist von Land zu Land unterschiedlich. Sofern eine kompetente Beratung angeboten werden kann, ist die Quote üblicherweise niedrig.
Langfristiger elterlicher Umgang mit der Diagnose eines Klinefelter-Syndroms bei ihrem Sohn
Nachdem entdeckt wurde, dass ein überzähliges X-Chromosom bzw. der Karyotyp 47,XXY die Symptomatik des Klinefelter-Syndroms bedingt, hat man in unterschiedlichen Einrichtungen – z.B. psychiatrische Krankenhäuser, Heimeinrichtungen für Kinder und Jugendliche – systematisch im Rahmen von wissenschaftlichen Studien alle Personen auf das Vorliegen von 47,XXY geprüft. In fast allen diesen Untersuchungen war die ermittelte Rate mit zwischen ca. 0,5 und 2% gegenüber dem Erwartungswert (ca. 1:750) erhöht.
Um besser zu verstehen, wie sich das Klinefelter-Syndrom, aber auch andere zahlenmäßige Abweichungen der Geschlechtschromosomenzahl auswirken, wurden in verschiedenen Ländern (zB. Schweden, Japan, USA, Kanada) systematisch Tausende von Neugeborenen einer Screening-Untersuchung unterzogen. Man wollte diese Kinder dann in regelmäßigen Abständen einbestellen, um deren Entwicklung beurteilen zu können. Somit sollte die Erfassung über bestimmte Einrichtungen oder über bestimmte Symptome umgangen werden, um einen repräsentativen Eindruck von der Entwicklung entsprechender Kinder zu bekommen. Kurz zusammengefasst zeigte sich, dass sich bestimmte Auffälligkeiten bei den Jungen mit dem Karyotyp 47,XXY häufiger als bei den Kontrollkindern mit normalen Chromosomensatz 46,XY zeigten. Hierzu zählten beispielsweise eine verzögerte Sprachentwicklung und eine erhöhte Rate an Lese-Rechtschreibstörungen. Es zeigte sich aber auch, dass viele der bei Geburt erfassten Kinder sich wie die Kontrollkinder entwickelten. Die Aussagekraft solcher Screening-Untersuchungen war durch die niedrige Rate an entsprechend erkannten Fällen eingeschränkt.
Vor dem Beginn solcher Neugeborenenuntersuchungen gab es viele Diskussionen zu ethischen Fragestellungen. Schließlich gilt es in der Medizin den Kernsatz „primum non nocere“ (zuerst einmal nicht schaden) zu beachten. Die große Frage, die sich stellte, lautete: wie würde sich das Wissen der Eltern um das Vorliegen einer abweichenden Anzahl an Chromosomen auf die Eltern und die Erziehung der Kinder auswirken? Letztlich konnte die Frage nicht beantwortet werden. Hierzu müsste man die Entwicklung von Eltern und deren Kindern mit solchen abweichenden Chromosomenzahlen langfristig vergleichen in Abhängigkeit davon, ob sie über die entsprechende Information verfügen. Der Hälfte der Eltern müsste man die entsprechende Information geben, der anderen Hälfte nicht. Eine solche Untersuchung ist nie vorgenommen worden; es wäre den Eltern, die nicht informiert würden, nicht zu zumuten sich in regelmäßigen Abständen vorzustellen. Wie hätten sich die beteiligten Wissenschaftler verhalten sollen, wenn Entwicklungsauffälligkeiten beobachtet würden? Letztlich könnten Eltern nach entsprechender Aufklärung sich ohnehin zusammenreimen, dass sie aufgrund der Einbeziehung in eine solche Studie ein Kind mit einer abweichenden Chromosomenzahl haben.
Deshalb gilt es sich Gedanken zu machen über den mittel- und langfristigen Umgang mit der pränatalen Diagnose eines Klinefelter-Syndroms. Die Diagnosestellung in der Schwangerschaft stellt ohne Frage eine erhebliche Verunsicherung dar. Wir haben weiter oben bereits aufgezeigt, wie wichtig eine kompetente Beratung ist.
Ängstliche Eltern werden sich im Verlauf der Entwicklung ihres Kindes möglicherweise häufig Sorgen machen. Die Diagnose prägt gewissermaßen die Sichtweise auf ihr Kind. Alltägliche Schwierigkeiten, die bei allen Kindern auftreten, werden unter Umständen als Folge des Klinefelter-Syndroms fehlinterpretiert. Unter Umständen sucht man deshalb häufiger professionelle Hilfe auf. Zum Glück kommen Eltern aber im Lauf der Monate und Jahre meist gut mit der Diagnose zurecht. Natürlich gilt es übergeordnet zu bedenken, dass viele Eltern mit medizinischen Diagnosen bei ihren Kindern konfrontiert werden. Man kann sich bei vielen solcher Diagnosen ängstigen oder aber versuchen, das Beste draus zu machen.
Falls Eltern das Gefühl haben, sie sind durch das Wissen um das Vorhandensein des überzähligen X-Chromosoms bei ihrem Sohn längerfristig belastet, so lohnt es sich über eine Psychotherapie nachzudenken. Im Rahmen einer solchen Therapie lässt sich manch eine Sorge oder Angst zurechtrücken. Andere Eltern werden die Diagnose lediglich als Hintergrundrauschen wahrnehmen. Im Alltag spielt das Wissen um das überzählige X-Chromosom keine Rolle bzw. führt zu keiner Verunsicherung.
Der Umgang mit der pränatalen Diagnose von 47,XXY aus Sicht der Eltern: Einzelberichte
Bericht 1 – Unsere bisherige KS-Reise – 0-12 Jahre
Bericht 2 – Carl, 16 Jahre
Bericht 3 – Sohn, 18 Jahre
Bericht 4 – Sohn, 2 Jahre