Welche psychologischen Aspekte gibt es in Zusammenhang mit dem Klinefelter-Syndrom?

Beim Klinefelter-Syndrom wird das Hauptaugenmerk der ärztlichen Versorgung meist auf fassbare klinische Aspekte wie z. B. den Testosteronmangel, die Knochengesundheit oder die Zeugungsfähigkeit gelegt. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Hinweise darauf, dass das Klinefelter-Syndrom Auswirkungen auf Temperament, Persönlichkeit und seelische Gesundheit haben kann.

Es gilt hierbei in der Theorie zu unterscheiden zwischen den Auswirkungen des Testesteronmangels auf das Gehirn und den psychischen Folgen der Diagnosestellung bzw. deren Konsequenzen. In der Praxis lässt sich das jedoch nicht immer gut trennen. Als besonderer Risikofaktor stellten sich dabei sowohl eine empfundene Stigmatisierung durch Mitmenschen und der Stellenwert einer Familiengründung mit Kinderwunsch in der Zukunftsplanung heraus, der bei Männern mit Klinefelter-Syndrom, wenn überhaupt, nur mit erheblichem medizinischen Aufwand realisiert werden kann. Auch der verminderte Testosteronmangel an sich, kann einen Einfluss auf die Psyche haben.

Im Kindes- und Jugendalter imponieren überzufällig häufig eine gestörte Aufmerksamkeit, manchmal auch eine erhöhte Impulsivität (ADHS). Sprachentwicklungsstörungen treten ebenso gehäuft auf wie Probleme beim Lesen und/oder Schreiben (Lese-Rechtschreibstörungen). So gibt es Hinweise darauf, dass manchmal vorhandene Defizite in der Sprachverarbeitung mit einer besseren visuellen Verarbeitungsfähigkeit einhergehen, was offenbar durch eine unterschiedliche Ausprägung der entsprechenden Gehirnareale mitbedingt ist. Dies schlägt sich wiederum auch in

einer erhöhten zielgerichteten Aufmerksamkeit und einem besonderen Interesse an Details nieder. Im Kindesalter fallen Jungen mit Klinefelter-Syndrom manchmal durch eine Verhaltensweise auf, die im Sinne von autistischen Verhaltensweisen imponieren. Diese sind jedoch nicht so ausgeprägt wie bei einer Autismus-Spektrumstörung. Es handelt sich in erster Linie um ein Verhalten, das durch Zurückgezogenheit, geringeres Interesse an der Interaktion mit Gleichaltrigen und einer besonderen Leidenschaft für Details gekennzeichnet ist.

Manchmal tun sich Jungen und Männer mit KS schwer, zielstrebig ihre Ziele zu verfolgen, ihre Motivation ist erniedrigt. Dies kann sich bemerkbar machen bei Verfolgung von Zielen in der Schule, während der Ausbildung bzw. des Studiums und im Beruf.

Im Jugend- und Erwachsenenalter kommen Depressionen gehäuft vor. Schwerwiegendere psychische Erkrankungen (z. B. Psychosen) kommen eventuell bei Menschen mit KS etwas häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung.

Ein weiterer Faktor, der Zufriedenheit und Stimmung beeinflussen kann, ist die soziale Interaktion mit Mitmenschen. In diesem Bereich scheint es, dass Männer mit Klinefelter-Syndrom manchmal Schwierigkeiten haben, Emotionen bei sich selbst und auch bei ihrem Gegenüber richtig zu erfassen und zu interpretieren. So mag insbesondere die Wahrnehmung von unerfreulichen oder ärgerlichen Gesichtsausdrücken bzw. Tonlagen in der Stimme von anderen Mitmenschen weniger gut zugeordnet werden. Dies wiederum kann manchmal zu Problemen in der gesellschaftlichen Interaktion führen, da das fehlende Erkennen und damit auch Eingehen auf die Stimmungslage des Mitmenschen zu Missverständnissen und Irritationen führen kann.

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